Montag, 24. Oktober 2011

SCHLEIERDEBATTE DIE 1000 UND ERSTE

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Marsfrauen im Tschador

von Antonia Herrscher


Der Himmel spiegelt die Erde wieder

die Augen des Gendarmen die blinkenden Minarette

Salah Abd al-Sabur


Wenn eine Polizeiwache religiös sein könnte, würde sich ihr der Islam als die ideale Religion anbieten: strenge Einhaltung des Reglements; Musterung und Körperhygiene; männliche Promiskuität sowohl im geistigen Leben wie bei den organischen Verrichtungen; keine Frauen.“ schrieb Claude Lévi-Strauss in seinem letzten Buch “Traurige Tropen”, an dessen Ende er die Weltreligionen miteinander verglich. In Sorge um die Tugend der Frauen komme der Islam stets auf die einfachen (zu einfachen) Ideen: Man wirft ihnen einen Schleier um – auf diesem Wege kommt man zur modernen Burkha. Doch diese Verschiebung der Barriere führe nun schon bei der kleinste Berührung zu einem unauflösbaren Konflikt im Kopf des Gläubigen.

Als der Westen aber begann, sich am Islam abzuarbeiten – und das beginnt für Lévi-Strauss mit den Kreuzzügen – habe er „die Chance verspielt, Frau zu bleiben“. Er vermackerte gewissermaßen an seinem Gegenüber. Was an dieser, gerade was die angebliche historische Weiblichkeit des Westens angeht, etwas steilen These überzeugt, ist der Griff an die eigene Nase.

Europa vermackert gerade gewaltig. Das Erstarken einer neuen Rechten in Belgien, Finnland, den Niederlanden, Ungarn und Österreich ist einer Wählerschaft zu verdanken, die jung ist, weiß, männlich und schlecht ausgebildet. Der Ton ist rüde, man ist gegen die EU und die Währungsunion - die größte gefahr ist der Islam. Meist im Sommerloch, in diesem Jahr schon ein wenig früher, kommt dann der Schleier der islamischen Frau auf den Tisch. Frankreich und Belgien haben ein Burkaverbot durchgesetzt. Schon die geschätzte Anzahl von etwa 2000 Burkaträgerinnen in ganz Frankreich macht deutlich, um was es geht. Bestimmt nicht um die Unterdrückung der Frauen. Nach dem Vorstoß der dänischen Rechtspopulistin Pia Merete Kjærsgaard zu einem Burka-Verbot in Dänemark, konnte im ganzen Land keine einzige Burka-Trägerin gefunden werden.

Mit dieser Ausnahme, ist die Diskussion um den Schleier der Musliminnen eine mänlich geführte. In der vergangenen Woche schwappte das Thema dann auch nach Deutschland über und wurde von dem SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer aufgegriffen. Er lobte die Durchsetzung des Burka-Verbotes in Frankreich und regte an, dies auch in Deutschland zu diskutieren, denn in Europa werde diese Debatte über das „Symbol der Unterdrückung der Frauen“ immer stärker geführt: „Wir sollten uns da auch positionieren.“ Kurz zuvor hatte er das in weiten Teilen rassistische und islamfeindliche Buch seines Parteikollegen Thilo Sarrazien „Deutschland schafft sich ab“ damit verteidigt, dass die SPD eben eine Partei mit großer Meinungsvielfalt sei. Zunächst wurde das Thema dann durch die Ermordung Osama bin Ladens an den Rand gedrängt. Scheinbar – den es ja das gleiche Thema.

Nun haben die Grünen in Niedersachsen ein Burka-Verbot im öffentlichen Dienst vorgeschlagen – obwohl es in ganz Niedersachsen keine vollverschleierte Frau im öffentlichen Dienst gibt. Eine Art Präventivschlag des innenpolitischen Sprechers der Grünen, Ralf Briese, der auf seine Partei in Hannover im Herbst eine "komplizierte rechts-, integrations- und frauenpolitische Frage" zukommen sieht. Am 11. September 2011 sind dort Kommunalwahlen. Was für ein Datum.

Botho Strauß schrieb kurz nach dem Attentaten des 11. September 2001 nun breche der Kampf „des Bösen gegen das Böse“ an. Der Orient muss mit all den Bildern, die der Westen für ihn bereit hält, seit langer Zeit für das rätselhafte und gefürchtete Fremde herhalten – auch als Spiegelbild für uns selbst. Seiner Rückständigkeit halten wir stets seine „eigentümlichen Mischung aus Pornos und Pressefreiheit, aus Coca-Cola und Cruise Missiles“ entgegen, wie es Jakob Augstein in der letzten Woche formulierte.

Also wieder runter mit dem Schleier. Wir wollen sehen, was sich dahinter verbirgt. Kürzlich zog sich die „GZSZ-Deutsch-Türkin“ Sila Sahin für den Playboy aus und bezeichnete dies selbst als Akt der Emanzipation. Der Westen stellt dem Schleier des Islam die Nacktheit gegenüber. Er antwortet mit der Enthüllung des weiblichen Körpers. Für die Filmemacherin Alina Marazzi gehört die vollkommene Entblößung der Frauen in Italien sogar zum politischen (Macho-) „System Berlusconi“. In den Fernsehstudios des regierenden Ministerpräsidenten moderieren junge Frauen mittlerweile im Bikini den Wetterbericht.

In Innen- wie Aussenpolitik macht die Menge des Textils an weiblichen Körpern noch immer deutlich, wer das Ruder in der Hand hat: Im Jahre 2003, kurz nach dem „Sieg“ der USA über die Taliban, nahm die in Afghanistan geborene Vida Samadzai als „Miss Afghanistan“ in einem knallroten Bikini, der besondere Aufmerksamkeit erlangte, an der Wahl zur „Miss Earth“ teil – was ihr den Spezialpreis „beauty for a cause“ einbrachte und die „Königinnenwürde“ als Belohnung für die „vorbehaltlose Assimilation“ an das westliche Frauenbild. – das ist ein ganz alter Hut.


Wie sexualisiert die Demonstration nationaler Macht ist, zeigt ein historisches Beispiel aus den USA: Wenige Tage nach den Atombombentests auf dem Bikiniatoll im Juli 1946 präsentierte der Modeschöpfer Louis Réard in dem Pariser Schwimmbad „Molitur“ den „kleinsten Badeanzug der Welt“ und nannte ihn Bikini. Der für Atomenergie zuständige Redakteur der New York Herald Tribune schrieb daraufhin begeistert: „Die erste Präsentation des Bikini-Badeanzuges verursachte heute eine Kettenreaktion unter der Menge der Sportbekleidungsexperten, die kurz nach der explosiven Show in die Molitur-Lagune eingedrungen waren.“ Christina von Braun und Bettina Mathes bezeichneten in ihrem Buch „Die verschleierte Wirklichkeit“ die enthüllte Frau deshalb als die „Inkarnation der Massenvernichtungswaffe mit bis dahin ungekannter Zerstörungskraft“.

In der Geschichte ist die Verschleierung der Frauen zur Etablierung neuer Herrschaftsstrukturen immer wieder herangezogen worden. Im Iran geschah dies im 20. Jahrhundert gleich zweimal: Reza Schah verfügte in den dreißiger Jahren eine Zwangsentschleierung der Frauen nach dem Vorbild der Türkei, die 1979 im Zuge der Iranischen Revolution mit dem Schleierzwang wieder beendet wurde. Frauen, die zuvor ihren Protest gegen den Schah Ausdruck verleihen wollten, taten dies, indem sie demonstrativ den Schleier anlegten.

Aber dieser Kampf hat einen noch viel längeren Bart: Im Osmanischen Reich sah sich Sultan Mehmet schon kurz nach der Eroberung Konstantinopels 1453 genötigt, die Verschleierung der osmanischen Frauen zu regeln, da sie nicht ausreichend von den Christinnen zu unterscheiden waren. Seine Gesetze zur Regelung der Kopfbedeckung waren nur die ersten in einer Reihe von Verordnungen, mit denen die islamischen Herrscher in Istanbul die muslimische Identität des Schleiers bis zum Ende des Osmanischen Reiches zu bewahren versuchten. „Mal sollte die Kleidung der islamischen Frau farbig sein, damit sie sich von den Christinnen unterscheide, mal sollte sie dunkel sein. Mal war der schwarze „Tscharschaf“ (Überhang) die einzige ehrbare islamische Kleidung, dann sollte er wieder abgeschafft werden, weil es dem Sultan mulmig wurde bei so vielen vermummten Gestalten“, so Meral Akkent und Gaby Franger 1987 zur Geschichte des Kopftuches in der Türkei. Mustafa Kemal Atatürk erklärte dann die Entschleierung der Frau zum Zeichen der Modernisierung und ihre Sichtbarwerdung zum Ausdruck eines Zivilisationswandels. Schon 1929 fanden die ersten Miss Turkei-Wahlen statt - auf Initiative der republikanisch orientierten „Cumhuriyet“, die bis 1932 die Wahlen ausrichtete.

Der Tourist erkennt die Algerische Gesellschaft am Schleier“, so der französische Arzt Frantz Fanon, der während der Aufstände im von Frankreich kolonisierten Algerien in den 1950er Jahren als Chefarzt in einem Krankenhaus arbeitete und sich später der Befreiungsfront FLN anschloss. In seinem Aufsatz „Algerien legt den Schleier ab“ stellt er fest, dass der Schleier für den Westen den weiblichen Teil einer Gesellschaft abbildet. Fanon war der Ansicht, das französische Regime verfolge mit seinen Zwangsentschleierungen und Entschleierungskampagnen mit samt der aus Frankreich berufenen Sozialarbeiterinnen, eine Strategie, die der Prämisse folge: „Wenn wir die Frauen gewonnen haben, haben wir den Kampf gewonnen“. Oder: „Wenn wir die algerische Gesellschaft in ihrem inneren Zusammenhang, in den Grundfesten ihres Widerstandes treffen wollen, müssen wir zunächst die Frauen erobern. Wir müssen sie in dem Schleier suchen, hinter dem sie sich verbergen, und in den Häusern, in denen sie der Mann versteckt“. Vermutete man hinter dem offenkundigen Patriarchat ein verborgenes Matriarchat?

Carla Bruni soll ja einmal gesagt haben, sie wolle einen Mann mit Atombombe. Ihr Mann läge bei einer Wahl nach den letzten Umfragen gerade noch abgeschlagen bei 18% der Wählerstimmen. Die Front National hingegen wäre auf Platz Zwei. Nikolas Sarkozy muss nicht nur einen Libyen-Einsatz rechtfertigen, auch innenpolitisch steht er unter großem Druck. Mit der von ihm angeführten Integrationsdebatte und dem Verbot der Burka lenkt er mit einigem Erfolg die Aufmerksamkeit auf Themen, die als Bedrohungsszenarien nicht allein von den rechten Gruppen angeführt werden dürfen aber schwer im Trend liegen: Ende April berichtete das Online-Magazin „Mediapart“, der französische Fußballverband wolle in seinen Ausbildungszentren die Anzahl der Spieler mit Migrationshintergrund senken, um in der Nationalmannschaft weniger Schwarze und Araber zu haben.

Sarkozy wollte kürzlich „mit einem Hochdruckreiniger“ die Vorstädte säubern, in denen die Nachkommen kolonisierter Franzosen leben und die nun – nachdem man sie dorthin verdrängt hat – als Bedrohung vor den Toren der Stadt lauern. Thematisiert wird an ihnen ein Auseinanderbrechen einer Gesellschaft, zu der sich gar nicht mehr gezählt werden.

Googelt man Schleier und Sex erscheint eine endlose Liste von Einträgen, die zeigen: Unter dem Schleier liegt das Negligé. So kommt es, dass der Spiegel-Autor Romain Leick in dem erotischen Roman „Die Mandel“ der marokkanischen Autorin mit dem Pseudonym Nedjima 2005 „Einen Aufstand“ und „Akt des politischen Widerstandes“ sieht. Es geht um „Sex unter dem Schleier“. Ausführlich zitiert wurde in der Buchbesprechung dann vor allem die Vergewaltigung in der Hochzeitsnacht der Romanheldin. Dies lässt nun wieder an die Berichte Frantz Fanons aus der Psychatrie in Algerien denken, nach denen den Vergewaltigungsfantasien westlicher Männer stets der Akt des Zerreissens des Schleiers vorausgeht. Sowohl die Nedjiima als auch der libysche Autor Hisham Matar beschreiben denn auch die gewaltsame Entjungferung in der Hochzeitsnacht als das „Durchstoßen des Schleiers“.

Dass der Westen nur schwer ohne das Bild des verhüllenden Textils auskommt, beschrieb kürzlich auch die jordanisch-britische Autorin Fadia Faqir: „Weiblichen arabisch-muslimischen Schriftstellerinnen wird sofort die Rolle der Untergeordneten aufgezwängt und diese mit dem Schleier verknüpft.“ Buchillustratoren entscheiden sich bei einem Buch arabisch-muslimischer Autorinnen grundsätzlich für das Bild des Schleiers, auch wenn es in der Lektüre überhaupt nicht vorkommt und trivialisieren es damit. „Ich könnte über Außerirdische im Weltall schreiben und die Graphiker und Horden von PR-Teams würden ihnen afghanische Burkas anziehen.“ schildert sie ihren Ärger über die ewige Wiederkehr dieser Stereotypen. Ihren männlichen Kollegen wird da noch etwas mehr zugetraut und es ziert auch mal ein den Koran lesender Junge das Cover – oder orientalische Rundbögen. Auch wenn das Buch eigentlich in Schottland spielt.

Es geht bei dem Schleier auch um das rätselhafte westliche Subjekt im Spiegel des „Rätsel Islam“. Dass an diesem Subjekt mitunter auf paradoxe Weise die Geschlechterordnung verhandelt wird, zeigt auch dieses schöne Beispiel: Nachdem Großbritannien 1882 Ägypten besetzt hatte, wurde der Repräsentant der englischen Krone, Evelyn Baring, zu einem der Vorkämpfer für die Entschleierung und die „Befreiung der Frau“ im besetzten Land. In seinem Heimatland war Baring dagegen Mitbegründer und Vorsitzender der ‚Men´s League for Opposing Women´s Suffrage’ – Liga der Männer gegen das Frauenstimmrecht.

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