STALINGRAD

Königsberg

taz vom 01.07.2011

Mein Zahnarzt hat die Frage nach den früheren Operationen aus dem Anamnese-Bogen gestrichen. Die meisten Patienten erzählen dann von den Gallensteinen des Großvaters - sind aber nicht doof: Auf den Hinweis, dass es um ihre eigenen Operationen ginge, kontern sie dann mit der Familien-Anamnese, die ja heutzutage immer wichtiger wird. Stalingrad, entfährt es ihm dann stets. Ich weiß! Stalingrad!

An Stalingrad musste ich heute Abend irgendwie auch denken. In der Belle Etage des Wirtshauses Max & Moritz feierte eine französische Herrenfußballmannschaft. Schon seit Stunden wehte ein beängstigendes Grölen über die Straße zu uns ins Café. In den hell erleuchteten Räumen konnte man zwei Dutzend Stiernacken beobachten, die begeistert auf Tischen rumsprangen und Begattungsbewegungen aus der Hüfte simulierten, wie Ronaldo damals. Später fragte uns ein Typ nach Sprühsahne. Sie hätten gegenüber eine Stripperin und wollten sie nun ablecken, erzählte er stolz. Leider hatten wir nur noch vegane Sahne. Dann gab es Geschrei vorm Haus.

Auf dem Heimweg machte ich noch einen kurzen Abstecher in die Schillingbar. Der Betrunkene am Tresen fragte plötzlich, wieso ich es nicht mal mit Männern versuche. Obwohl, meine Frisur fand er gut. Auf dem Klo dann brüllte einer in sein Telefon: Kannste mir 500 Euro leihen? Ich muss meinen Lifestyle ändern. Ich überlegte, ob mir 500 Euro helfen könnten.

Zu Hause im Hof saß Yaser mit Hausmeister Rainer und aß. Ich setzte mich dazu, Rainer fragte mich, wieso ich nicht bei einer anderen Zeitung arbeiten könne, und ging. Yaser holte einen Löffel für mich, sein Onkel hatte sein Lieblingsgericht gekocht. Ein libanesisches Gericht?, fragte ich schmatzend. Nein, Königsberger Klopse!, sagte er mit großen Augen. Und? Sind die gut? Unglaublich gut waren die.

ANTONIA HERRSCHER